Preisverleihung am 8. Juni 2015 im Kammermusiksaal des Händel-Hauses
Die Georg-Friedrich-Händel-Gesellschaft e. V., Internationale Vereinigung, hat am 8. Juni 2015 zum zweiten Mal den INTERNATIONALEN HÄNDEL-FORSCHUNGSPREIS vergeben.
Preisträgerin ist die US-amerikanische Musikwissenschaftlerin Dr. Regina Compton mit ihrer Arbeit
„The Recitativo Semplice in Handel’s Operas for the First Royal Academy of Music, 1720–1728”.
Regina Compton widmet sich mit dem recitativo semplice einem in der Händel-Forschung bisher kaum beachteten Thema. Sie verfolgt unter anderem die Frage, inwieweit sich die Gestik der Akteure in der Musik wiederfindet und bezieht somit neben der sprachlichen Ebene auch die theatralische Dimension in ihre Überlegungen ein.
Die Laudatio hielt der britische Musikwissenschaftler und Händel-Spezialist Prof. Dr. Donald Burrows.
Der Internationale Händel-Forschungspreis ist mit 2000 € dotiert und wird vergeben mit freundlicher Unterstützung der Stiftung der Saalesparkasse.
Die Preisverleihung fand im Rahmen der Eröffnung der Internationalen Wissenschaftlichen Konferenz „Händel und seine Interpreten” statt, die an drei Tagen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus den USA, Südafrika, Großbritannien, Österreich, den Niederlanden und Deutschland zusammenführte.
Laudatio von Prof. Dr. Donald Burrows, Milton Keynes
The panel of judges for the International Handel Research Prize 2015 are unanimous in awarding the prize to Regina Compton, for her entry on the subject of ‘Handel’s Recitativo Semplice in the Operas from the First Royal Academy of Music (1720-28)’.
Regina Compton is a young American scholar who completed her Bachelor’s degree Summa Cum Laude at Southern Methodist University in 2007, and her Masters degree at the University of Cincinnati in 2010. This year she successfully completed her doctoral dissertation at the Eastman School of Music, University of Rochester. The Eastman School is distinguished for its teaching in both academic studies and performance practice: her supervisors were Roger Freitas and Corbett Bazler (both leading members of the American Handel Society) and Paul Odette, a professional continuo player. The Sibley Library’s collection at the Eastman School is also known to Handelians for an early manuscript copy of the Cannons Te Deum, and for a manuscript score of Vinci’s opera Artaserse with Handel’s annotations for the preparation of his pasticcio Arsace.
Most scholarship on the music of Handel’s operas has in the past concentrated on the arias and accompagnato recitatives as the elements that determine both musical structure and the presentation of characters: secco recitatives have largely been relegated because their music has been considered formulaic and their function has been interpreted as transitional between the more substantial musical movements. Their dramatic function, however, is crucial: it is in these recitatives that the interactions between the characters take place and the story is advanced.
Regina Compton’s work has demonstrated that the secco recitatives have musical and dramatic significance for Handel’s operas, and that his treatment of melody, harmony and rhythm can reveal individual aspects of motivation and character. They thus also reveal one aspect of his skill as a dramatic composer. Her treatment of the subject is wide-ranging, including consideration of various aspects including specific incidents in the plots, the presentation of characters, Italian verse conventions and Baroque stage gesture, but all of these are directly related to examination of the music itself, with detailed discussions of scenes from Radamisto, Alessandro and Ottone.
The work presented for the prize is a stimulating contribution to the advancement of the study of Handel’s music, and opens up a new area of investigation. The judges hope that the award of the Prize will encourage Dr Compton to continue her interest in Handel and his works.
Die Laudatio in deutscher Sprache
Die Jury des Internationalen Händel-Forschungspreises hat sich einstimmig dafür entschieden im Jahr 2015 den Preis an Regina Compton für Ihre Studie „Händels einfaches Rezitativ in den Opern aus der Zeit der ersten Königlichen Musikakademie (1720–1728)” zu vergeben.
Regina Compton ist eine junge amerikanische Wissenschaftlerin, die ihren Bachelor of Arts an der Southern Methodist University im Jahr 2007 mit dem Prädikat „summa cum laude” erwarb; ihren Master legte sie 2010 an der University of Cincinnati ab. 2015 hat sie ihre Dissertation an der Eastman School of Music der University of Rochester erfolgreich verteidigt. Die Eastman School genießt besonderes Ansehen sowohl im Bereich akademischer Studien wie auch im Bereich der Aufführungspraxis: Die Arbeit von Frau Compton wurde von Roger Freitas und Corbett Bazler (beide führende Mitglieder der Amerikanischen Händel-Gesellschaft) sowie von Paul Odette betreut, einem Spezialisten für Generalbassspiel. Die Sammlung der Sibley Library an der Eastman School ist Händelianern durchaus bekannt, werden dort doch eine frühe Abschrift des Cannons Te Deum und eine Partitur von Leonardo Vincis Oper Artaserse mit Eintragungen Händels in Zusammenhang mit seinem Pasticcio Arsace aufbewahrt.
Der Großteil der Forschung zu Händels Opern hat sich in der Vergangenheit auf die Arien und streicherbegleiteten Accompagnato-Rezitative als diejenigen Elemente konzentriert, die sowohl die musikalische Struktur als auch die Charakterzeichnung bestimmen: Die rein generalbassbegleiteten Secco-Rezitative hingegen wurden hintangestellt; ihre Musik galt als formelhaft und ihre Funktion wurde in einer reinen Überbrückung zwischen den gehaltvolleren Sätzen gesehen. Ihre dramatische Funktion jedoch ist entscheidend: In den Rezitativen treten die Charaktere zueinander in Beziehung und wird die Handlung vorangetrieben.
Die Studie von Regina Compton zeigt, dass die einfachen Rezitative in den Opern Händels sowohl musikalische wie auch dramatische Bedeutung besitzen und dass die unterschiedliche Behandlung von Melodie, Harmonie und Rhythmus in den Rezitativen dazu dienen kann, Bühnenfiguren in ihrer Motivation und Charakterisierung zu individualisieren. Daher wird in ihnen eine wichtige, bislang vernachlässigte Facette des Musikdramatikers Händel greifbar. Die Arbeit von Dr. Compton behandelt ihren Gegenstand umfassend; sie beschäftigt sich mit spezifischen Handlungselementen, der Figurencharakteristik, den Konventionen der italienischen Verssprache und der barocken Bühnengestik. Aber all diese Gesichtspunkte werden unmittelbar auf eine Untersuchung der Musik selbst bezogen; dabei werden Szenen aus Radamisto, Alessandro und Ottone detailliert besprochen.
Die preisgekrönte Arbeit stellt einen anregenden Beitrag zu einem vertieften Verständnis der Musik Händels dar und eröffnet ein neues Forschungsfeld. Die Jury hofft, dass die Verleihung des Preises Frau Dr. Compton dazu ermutigen wird, ihre Forschungen zu Händels Leben und Werk fortzusetzen.
(Übersetzung: Prof. Dr. Wolfgang Hirschmann, Halle)