6. und 7. Juni 2017

Georg Friedrich Händel hat wie vielleicht kein zweiter Komponist seiner Epoche fremdes Material zur Grundlage eigener Werke genommen. Diese sogenannten „borrowings“ („Entlehnungen“) betreffen alle Werkgruppen seines Oeuvres und eine Vielzahl von Stücken unterschiedlichster Provenienz, aus denen sich Entlehnungen nachweisen lassen. Diesen Fremdentlehnungen stehen außerdem (in wahrscheinlich noch größerer Zahl) Übernahmen aus eigenen Werken gegenüber. Von Händel selbst ist eine Reihe von Manuskripten überliefert, in denen er aus Kompositionen anderer Musiker Exzerpte vorgenommen hat; aber die eigentliche Dimension der Entlehnungspraxis Händels lässt sich nur durch analytische Vergleiche erschließen.

Seit die Händelforschung im 19. Jahrhundert auf die ubiquitäre Entlehnungs- und Bearbeitungspraxis Händels aufmerksam geworden ist, hat sie versucht, Erklärungs- und Bewertungsansätze für diese kompositorische Praxis zu formulieren, die zwischen der Verteidigung des Originalgenies und der Verurteilung des Plagiators schwanken. Neuere Forschungen haben einen eher neutralen Zugang favorisiert, der zunächst einmal versucht, einen Überblick der verschiedenen Bearbeitungsvorgänge und ihres jeweiligen Ausmaßes sowie Charakters zu gewinnen. Diese Forschungen sind beileibe nicht abgeschlossen (vielleicht auch gar nicht abschließbar); aber immerhin liegt inzwischen ein großes Korpus von Nachweisen vor, mit dem sich ein systematisierender Zugriff auf das Phänomen erproben lässt.

Die Konferenz möchte nicht nur Beiträge zur Systematisierung und weiteren Erforschung der Händel’schen Entlehnungspraxis anregen, sondern auch ihre ideengeschichtlichen und kunsttheoretischen Grundlagen thematisieren, so etwa die Theorie der eklektischen Nachahmung (englisch „transformative imitation“) oder die frühneuzeitliche Exzerpierkunst (ars excerpendi). In einem dritten Themenkomplex schließlich soll die Geschichte der Deutungen der Händel’schen Bearbeitungspraxis beleuchtet werden, die bereits Sedley Taylor in seiner 1906 erschienenen grundlegenden Studie zu einer über zwanzigseitigen Abhandlung über die Frage anregte, ob „Handel’s mode of dealing with compositions by other Masters was morally justifiable”.

Wolfgang Hirschmann, Halle

Ablauf der Konferenz

Dienstag, 6. Juni 2017 — 10.00–12.00 Uhr

Eröffnung der Konferenz und Verleihung des Händel-Forschungspreises

Vortrag der Preisträgerin / des Preisträgers

Musikalische Gestaltung:
Studierende der Abteilung Musikpädagogik des Instituts für Musik, Medien- und Sprechwissenschaften der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg 

Sektion I: 13.00–14.45 Uhr

Annette Landgraf (Halle)
Händels Ankläger und seine Verteidiger

Andreas Waczkat (Göttingen)
Imitatio und Aemulatio: Die Brockes-Passion HWV 48 als stilprägendes Vorbild der englischen Oratorien

Rainer Kleinertz (Saarbrücken)
Typen der Übernahme bei Händel und ihre Bedeutung

Sektion II: 15.15–17.00 Uhr

Roberto Scoccimarro (Köln)
Händel und die italienischen Opernkomponisten zwischen Spätbarock und „stile moderno“: Formen des Entlehnungsverfahrens

Panja Mücke (Mannheim)
Entwickelnde Improvisation? Händels Opern zwischen Exzerpt und Entlehnung

Reinmar Emans (Hamburg)
Zwischen Sammlung von Exempla classica und Zitaten „a mente”

Mittwoch, 7. Juni 2017 — Sektion III: 9.00–10.45 Uhr

Graydon Beeks (Claremont)
Handel’s adaptation of material from his Italian psalms in his Cannons Anthems

Donald Burrows (Milton Keynes)
From St Lawrence’s to St James’s: Handel’s recomposition of Cannons music for the Chapel Royal

Matthew Gardner (Frankfurt a. M.)
Borrowing in Deborah: Convenience or Careful Selection?

Sektion IV: 11.00–12.45 Uhr

Teresa Ramer-Wünsche (Halle)
Händels Entlehnungsverfahren unter Berücksichtigung des Affektgehalts in seiner Serenata Parnasso in festa am Beispiel der Übernahmen aus Athalia

Silas Wollston (Cambridge)
A continuum of creative refinement: Handel’s use of pre-existing musical material in the St Cecilia Ode and the Grand Concertos

Jonathan Rhodes Lee (Las Vegas)
Borrowing in Joseph and His Brethren 

Sektion V: 13.45–15.00 Uhr

Mark P. Risinger (New York)
Handel’s Compositional Method and Its Interpretations

John H. Roberts (Berkeley)
Solemn sounds: Handel’s Borrowed Fugues 

Sektion VI: 15.15–17.00 Uhr

Wolfram Enßlin (Leipzig)
Zwei Originalgenies als Plagiatoren? Carl Philipp Emanuel Bach, Georg Friedrich Händel und ihre Bearbeitungspraxis im Vergleich

Julia Ronge (Bonn)
Händels Lorbeerkranz – Beethoven rezipiert den „größten Componisten, der je gelebt hat”

Christine Siegert (Bonn)
Ludwig van Beethoven: Zur Entlehnungspraxis eines Originalgenies

Schlusswort

Blatt aus Sammelband mit utographen Fragmenten von Werken Händels
Foto: Fitzwilliam Museum, Cambridge

Eigene musikalische Einfälle Händels sowie Notizen und Skizzen aus den Componimenti musicali per il cembalo von Gottlieb Muffat (1690–1770), die Händel u. a. für einige Sätze der Cäcilienode, HWV 76, verwendete. Das Blatt ist enthalten in einem autographen Sammelband mit Händel-Werken, einzelnen Sätzen aus verschiedenen Werken Händels und Fragmenten, der in Cambridge im Fitzwilliam Museum aufbewahrt wird (GB-Cfm, MU MS 262, S. [62]).

Flyer mit Ablauf [1.6MB/pdf]

Die Programmbroschüre [83.1KB/pdf]