Il trionfo del Tempo e della Verità

HWV 46b (I/4.2: Notenband mit Kritischem Bericht), herausgegeben von Michael Pacholke, Kassel 2022

In dem knappen halben Jahr vom 14. August 1736 bis zum 27. Januar 1737 hatte Georg Friedrich Händel mit der Komposition von drei Opern eine in seinem die vorhergegangenen reichlich drei Jahrzehnte dominierenden Opernschaffen noch nie dagewesene Produktivität erreicht. Darüber hinaus schuf er nach kürzeren Phasen, in denen er sich intensiv mit der Komposition von Oratorien beschäftigt hatte – 1707/08, 1716–20 sowie 1732–35 –, im März 1737 auch noch ein weitgehend neues Werk dieser Gattung: „Il trionfo del Tempo e della Verità“ („Der Sieg der Zeit und der Wahrheit“), HWV 46b. Der Librettist ist unbekannt, der Text entspricht jedoch weitgehend dem Libretto des Oratoriums „La Bellezza ravveduta nel trionfo del Tempo e del Disinganno“ („Die durch den Sieg der Zeit und der Erhellung geläuterte Schönheit“, auch noch unter dem in Sekundärquellen verwendeten, nun veraltenden Titel „Il trionfo del Tempo e del Disinganno“ bekannt), HWV 46a, von Benedetto Pamphili (1653–1730), 1707.

Im 1866 erschienenen Band 24 der Chrysander-Ausgabe, in dessen erstem Teil „La Bellezza ravveduta“, HWV 46a, unter dem Titel „IL TRIONFO DEL TEMPO | Roma | circa 1708“ abgedruckt ist, erscheinen unter dem Titel „IL TRIONFO DEL TEMPO | Londra | 1737“ auf lediglich 22 Seiten einige Auszüge aus „Il trionfo del Tempo e della Verità“, HWV 46b, (zehn Musiksätze, dazu sechs Rezitative, also nur ein Bruchteil des Werkes) gemischt mit Verweisen auf den Hauptteil von Band 24 sowie auf Band 20 der Chrysander-Ausgabe mit „The Triumph of Time and Truth“, HWV 71 (1757). Auch mit diesen Verweisen bleibt Chrysanders Präsentation von HWV 46b unvollständig. Einige Sätze, so gleich die Sinfonie in der Einleitungsmusik, fehlen in Band 24 und 20 ganz und gar, während die Verweise in Band 24 auf Band 20 natürlich auf die englisch textierten Versionen der Sätze in HWV 71 zielen, für HWV 46b also auch wenig hilfreich sind. Die Werkgestalt von HWV 46b erschließt sich in der Chrysander-Ausgabe nicht.

Im neuen Band der HHA wird die Musik von „Il trionfo del Tempo“ in einem die Version der Uraufführung 1737 präsentierenden Hauptteil sowie in zwei Anhängen geboten (I: Frühfassungen einzelner Musiksätze, II: Für die Aufführung vom 3. März 1739, zum Teil vielleicht auch für weitere, aber nicht zustande gekommene Aufführungen geänderte und vollständig überlieferte Musiksätze). Anhang II enthält fast durchweg in der Chrysander-Ausgabe nicht vorhandene Highlights, darunter eine Sonatine für Carillon und eine uminstrumentierte Fassung einer Arie unter Beteiligung dieses Metallstabspiels mit Klaviatur. An eine andere Arie hängte Händel eine Bearbeitung eines musikalisch besonders originellen Chors der Baalspriester aus dem Oratorium „Deborah“, HWV 51 an, in der die Anhänger des weltlichen Vergnügens die Zeit als Urheberin des Schmerzes verdammen. Eine seiner berühmtesten Arien, „Lascia ch’io pianga“ aus „Rinaldo“, HWV 7b, sah Händel ebenfalls für spätere Aufführungen von HWV 46b vor, natürlich mit dem dazu passenden Worttext „Lascia la spina“. Anhang II endet mit der Präsentation der Zusammenfügung von Schlussarie und Schlusschor, zweier besonders eindrucksvoller Musiksätze, die Händel in der Direktionspartitur mit Bleistift präzise angewiesen hat.

Im Kritischen Bericht spielt die Entlehnungspraxis eine große Rolle, da Händel im Kompositionsprozess von 1737 das von ihm gewohnte Verfahren, auf Passagen und Material älterer Musik von ihm selbst und anderen zurückzugreifen, intensivierte, etwa indem er ganze Arien Telemanns adaptierte und ganze Chorsätze C. H. Grauns in der Substanz so gut wie unverändert übernahm.

(Quelle: Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz, Jahresbericht Hallische Händel-Ausgabe 2022)