Exkursion nach Český Krumlov, September 2018

Die den Mitgliedern regelmäßig angebotene Exkursion – von der Händel-Stadt weg hin zu  auch anderswo stattfindenden Ereignissen der Barockmusik-Pflege – führte 2018 nach Böhmen. Ziel war die UNESCO-Welterbestadt Český Krumlov (Böhmisch Krumau). Hier richteten das ansässige Zentrum für Barock-Kultur und das Barock-Ensemble Hof-Musici vom 21. bis 23. September bereits zum 11. Mal das „Festival der Barock-Kunst” aus.

Die Organisation des mehrtägigen Ausflugs der Händel-Freunde lag wieder in den bewährten Händen von Gabriele Klatte. Zum Service auf der Fahrt mit einem Bus von Sachsen-Anhalt-Tours und dem freundlichen und sicheren Fahrer gehörten sowohl unterhaltsame Informationen von Dr. Karin Zauft über die Bedeutung böhmischer Musiker in der europäischen Musikgeschichte als auch die neugierig machende Vorausschau von Bernd Leistner auf das mit historischer Bühnenmaschinerie und originalen Kulissen komplett erhaltene Schlosstheater von 1682 und auf die illusionistischen Malereien des so genannten Maskensaals im Schloss Krumau.

Die vielstündige An- und Abreise ermöglichte immerhin die Teilnahme an drei Programmpunkten im Festivalablauf. Dazwischen konnten – von einem kundigen Stadtführer darauf vorbereitet – die historische Altstadt und das Schloss erkundet werden. Zwischen einer der engsten felsigen Doppelschlingen der mäanderreichen Moldau erbaut, sind in dem Gewirr pittoresker Gassen Häuser vom 13. bis 18. Jahrhundert erhalten geblieben. Hoch über der Altstadt erheben sich auf mehrere Felsformationen verteilt das durch „Mantelbrücken“ zusammengefügte Schlossareal mit Bauten und Parkanlagen aus mehreren Jahrhunderten. Die Veranstaltungen des Festivals finden in Räumlichkeiten sowohl des Schlosses als auch des ehemaligen Doppelklosters der Franziskaner und der Clarissen statt.

Den diesjährigen Auftakt, den auch die Händel-Freunde besuchten, bildete im denkmalgerecht rekonstruierten barocken Schlosstheater die nach 1692 vermutlich erstmals wiederaufgeführte Oper „L’Ingresso alla Gioventù di Claudio Nerone“ von Antonio Gianettini, seinerzeit Kapellmeister in Modena. Dank des überlieferten Unikats einer handschriftlichen Partitur wurde die Oper als beispielhaftes historisches Dokument geradezu ehrfurchtsvoll präsentiert und ihr daher ohne Streichungen zur akustischen Wiedererweckung verholfen. Die Einstudierung lag in den Händen der Spezialistin für barocke Bühnengestik Zuzana Vrbová und des Dirigenten und Cembalisten Ondrej Macek. Acht bestens präparierte Sängerinnen und Sänger, das tschechische Barockorchester „Hof-Musici“ und das Wiener Ensemble für historischen Tanz „Hof-Dantzer“ zusammen mit Krumauer Schülerinnen und Schülern lieferten hingebungsvoll die Illusion einer Aufführung wie vor über dreihundert Jahren, als man noch aktuelle Anspielungen im Libretto vom „Eintritt Neros in das Erwachsenenalter“ fand und auf Situationen im Hof-Alltag von Modena beziehen konnte. (Die mehrsprachig aufbereiteten Textbücher waren kostenlos verteilt worden!) Die reine Spieldauer von reichlich vier Stunden bedeutete für das heutige Publikum auf den uralten lehnenlosen Holzbänken eine strapaziöse Herausforderung. Aber die rund fünfzig Arien, Arietten, Duette und Terzette ließen immer wieder erstaunen wegen des Varianten- Reichtums der überwiegend rhythmisch lebhaften Melodie-Einfälle und sicherten eine gewisse Kurzweiligkeit. Wer bis zum Schluss ausgeharrt hatte, fand den frenetisch gespendeten Beifall für die Leistung aller Mitwirkenden jedenfalls unbedingt angebracht.

Am Tag darauf stand der Besuch eines Konzerts mit Kammermusik der frühen Wiener Klassik auf dem Programm der Hallenser. In der „Säulenhalle“ am ersten Schlosshof, einem früheren Teil der Pferdestallungen, spielte das Wiener Trio-Ensemble „Estatico“ mit historischem Instrumentarium (Violine/Viola, Klarinette/Bassetthorn, Hammerklavier) seinem Namen gemäß „verzückende“ Werke von Vanhal, Mozart und Beethoven. Den Hausmusik-Charakter förderten eingestreute Erläuterungen. Nicht selten verwiesen sie auf die damaligen Verflechtungen des Wiener Musiklebens mit dem des Böhmerlandes.

Am späten, stark abgekühlten Abend waren auf der Gartenterrasse der ehemaligen Sommerreitschule noch barocke Illumination und ein kleines Feuerwerk zu erleben. Über Lautsprecher ertönte passende festliche Musik. Das ortsansässige Theatrum Pyrotechnicum strebt eine Rückkehr in die Blütezeit des barocken Feuerwerks an und orientiert sich daher streng an historischen Notizen und Zeichnungen in Archivquellen. So vermied man absichtlich spektakuläre Effekte moderner Feuerwerkstechnik. Vorzugsweise mit Feuerrädern, flammenden Strahlenfächern und kreisenden Federschweifen wünschten die Initiatoren nach eigenen Worten „zusammen mit der authentischen Umgebung das moderne Publikum zurück in die Magie vergangener Tage zu versetzen.“

Ehe die Händel-Freunde am dritten Tag wieder Richtung Halle reisten, besuchten sie noch das Georg Schiele Art Centrum in der geräumigen ehemaligen Stadtbrauerei. Der museale Teil der Galerie würdigt unter anderem auch mit Grafiken den umstrittenen, jung verstorbenen Expressionisten Schiele, ansonsten bietet das geräumige Haus Platz für Wechsel-Ausstellungen zur Klassischen Moderne und mit Werken gegenwärtiger Kunst.

Auf der Rückfahrt durch die zauberhafte Landschaft des Böhmischen und des Bayrischen Waldes ließen alle Reiseteilnehmer schließlich dankbar die vielfältigen Eindrücke eines dicht gedrängten Kultur-Wochenendes in sich nachklingen.

Götz Traxdorf, Halle (Saale)